Joseph Gabriel von Rheinberger *Vaduz (Liechtenstein) 17.3.1839, + München 25.11.1901 Das Abendlied", op. 69 Nr. 3: Wirklich das Werk eines Fünfzehnjährigen? In der Bayerischen Staatsbibliothek München liegen vier Manuskripte Rheinbergers, anhand derer sich die Geschichte der Überarbeitungen nachvollziehen lässt. Die erste Version wird als JWV 55 im Jugendwerkeverzeichnis Rheinbergers geführt. Der Text ist Vers 29 aus dem Lukas-Evangelium, Kap. 24 (Emmaus-Geschichte - das Ostermontags-Evangelium). Rheinbergers erste Niederschrift des Abendliedes ist auf den 9.3.1855 datiert, einen Monat vor dem Osterfest 1855 und zwei Wochen vor Rheinbergers 16. Geburtstag. Für das spätere Abendlied op. 69 Nr. 3 hat Rheinberger als 24-Jähriger zahlreiche Änderungen vorgenommen, und erst in dieser geänderten Version erschien die Motette 1873 bei Simrock in Berlin. Die Änderungen hat er mit Bleistift in die Urfassung eingetragen und später nochmals abgeschrieben, wobei allerdings nochmals kleinere Abweichungen auftreten. Zusätzlich gibt es eine Niederschrift vom 12.10.1877 mit lateinischem Text, die am Ostermontag 1878 in der Allerheiligen-Hofkirche zur Aufführung kam. Der Herausgeberin von Band 7 der Rheinberger-Gesamtausgabe, Frau Dr. Barbara Mohn, bin ich für diese und weitere wertvolle Hinweise dankbar. Rheinberger hat im Kopf der späteren Manuskripte immer den 9.3.1855 eingetragen; das Bearbeitungsdatum steht meist am Ende. Die bekannten Standardausgaben verschiedener Verlage beziehen sich im Wesentlichen auf die Simrock-Ausgabe von 1873. Der Carus-Verlag hat neben op. 69 Nr. 3 zusätzlich die lateinische Version herausgegeben (auch als Einzelausgabe CV 50.069/30 erschienen). Es ist lehrreich zu sehen, wie Rheinberger den völlig unterschiedlichen Duktus des lateinischen Textes verarbeitete ("Mane nobiscum quoniam advesperascit, inclinata est jam dies"). Hier soll vor allem die Wandlung des Jugendwerkes JWV 55 zum berühmten op. 69 Nr. 3 betrachtet werden. Capella-Umschrift von Rheinbergers Manuskript vom 11.4.1858, Blatt 1 (eigenhändige, weitgehend unveränderte Abschrift der Urversion vom 9.4.1855), Quelle: Bayerische Staatsbibliothek Änderungen in op.69. Nr. 3 gegenüber dem hier wiedergegebenen JWV 55:
Tempoangabe "Andante molto" mit Metronomangabe "Viertel = 72" eine ziemlich auffällige Korrektur, die wohl aus der Praxis kam! - Takt 2-3, Ten. 1: c-c-e; T2.: a-a-g. Damit wird die Wendung nach C-Dur von allen Männerstimmen entschiedener vollzogen.
- die Crescendo-Klammer beginnt in Takt 3 statt in Takt 4 (wohl eine spät entdeckte Ungenauigkeit); - Stimmführung fast in jedem Takt: Takt 5, Sopran 2: Die Viertelbewegung und die charakteristische Überbindung zu Takt 6. Damit wird die erste Verszeile an den folgenden Abschnitt angebunden. Takt 8, Alt und Takt 9, Bass: der Zielton wird direkt erreicht, Takt 9-10: Tenor 2 wird in die Terzverdopplung mit Sopran 1 geführt. Takt 12-13: Tenor 1 (Rhythmusänderung) Takt 14-15: Sopran 1 und Tenor 2
Rheinberger ersetzt zahlreiche Tonwiederholungen des Jugendwerks durch eine bewegtere Stimmführung. Dies setzt sich auf den folgenden Blättern in nahezu jedem Takt fort. Damit gewinnt das Werk viel von seiner berühmten Sanglichkeit und inneren Dynamik. Das genial angelegte Jugendwerk wurde zum ausgereiften Opus des Meisters. In der Tat betrachtete Rheinberger nur seine Werke mit Opuszahlen als gültig.
Blatt 2
Blatt 3
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